Isabelle und Matthias Krämer haben sich in der Wingst einen Traum erfüllt: Sie haben einen Lebenshof für Tiere gegründet. Bislang sind schon fünf Schafe und drei Hunde eingezogen. Es sollen aber noch mehr Mitbewohner werden. Foto: van Veenendaal
Isabelle und Matthias Krämer haben sich in der Wingst einen Traum erfüllt: Sie haben einen Lebenshof für Tiere gegründet. Bislang sind schon fünf Schafe und drei Hunde eingezogen. Es sollen aber noch mehr Mitbewohner werden. Foto: van Veenendaal

Mehr als nur ein Gnadenbrot

Paar aus Bonn gründet Lebenshof für Tiere in der Wingst

Die erste Hälfte des Textes ist am 30. August 2020  im Sonntagsjournal der Nordsee-Zeitung erschienen

Von Susanne van Veenendaal

Wingst. Wenn Isabelle und Matthias Krämer vor die Haustür treten, dauert es nicht lange, bis sie von mehreren Damen belagert werden. Milla läuft dem Ehepaar sofort entgegen, Lina möchte gerne schmusen und Wanda hätte gerne einen Apfel. Auch Zoe und Greta  machen sich lautstark bemerkbar und gehen auf Tuchfühlung. Es scheint so, als wüssten sie, dass sie mit den Krämers das große Los gezogen haben: Die Vierbeiner wohnen jetzt auf einem Lebenshof.

 

Ein Zuhause in einem ehemaligen Försterei-Gebäude

 

Fünf Schafe, zwei Menschen und drei Hunde – das sind die Bewohner des Lebenshofs Nordlichter. Die etwas ungewöhnliche WG hat ihr Zuhause in einem ehemaligen Försterei-Gebäude in der Wingst gefunden. Die Gemeinschaft ist noch ganz jung – erst vor wenigen Monaten hat das Paar aus Bonn Haus und Hof im nördlichen Cuxland gepachtet. Die Hunde Jolly und Nala gehören schon länger zur Familie, Rüde Buddy sowie die Schafe sind neu dazugekommen.

 

Matthias Krämer: "Nutztiere gibt es nicht"

 

Das Projekt steht noch ganz am Anfang. Künftig sollen immer mehr Tiere hier Zuflucht finden. Oder genauer gesagt: in erster Linie sogenannte Nutztiere. Den Begriff verwenden die beiden jedoch nur in Anführungszeichen. „Wir möchten darauf aufmerksam machen, dass es so etwas wie Nutztiere nicht gibt. Der Begriff spricht ja den Tieren im Vorfeld ihre Lebensberechtigung ab“, erläutert Matthias Krämer. „Es geht uns auch nicht nur darum, einigen Tieren ein Gnadenbrot zu geben, sondern sie in den Fokus zu stellen und sie als Lebewesen zurück ins Bewusstsein zu rufen“, meint Isabelle Krämer. Platz ist zumindest genügend vorhanden: Zu dem Gebäude gehört eine Fläche, die etwa so groß wie drei Fußballfelder ist. So etwas wie einen Streichelzoo werde es allerdings nicht geben, wehrt sie ab. „Die Tiere entscheiden selbst, ob sie dem Besuch nahekommen wollen.“

 

Isabelle Krämer: "Puten hat niemand auf dem Schirm"

 

Besonders beliebte Tiere wie Pferde und Esel werden ohnehin eher nicht zu den Mitbewohnern zählen. „Die passen nicht ins Konzept“, sagt der 44-jährige Matthias Krämer. „Es gibt viele Liebhaber, die sich um diese Arten eh schon kümmern“, ergänzt seine Frau. Der 38-Jährigen liegen Hühner und vor allem Puten am Herzen.  „Die hat niemand auf dem Schirm“, erläutert sie. Auch Schweine hätte sie gerne zeitnah in ihre Obhut genommen, doch die Auflagen für die Haltung seien einfach zu weitgreifend. 

 

Rationalität statt blinder Aktionismus

 

Zwei Kühe wären kürzlich ebenfalls fast eingezogen. Nach reiflicher Überlegung habe das Paar sich dann aber dagegen entschieden – vorerst zumindest. „Wir wussten, wir sind noch nicht so weit. Und wir wollen keinen blinden Aktionismus betreiben“, betonen beide. „Wenn man einen Lebenshof gründet, muss man auch Nein sagen können“, sagt Isabelle Krämer. Deshalb ist sie froh, in ihrem Partner einen eher rationalen, abwägenden Gegenpart  gefunden zu haben. Er hingegen weiß es zu schätzen, eine Macherin an seiner Seite zu haben, die die Dinge schlussendlich auch umsetzt. 

 

Paten und Spender gesucht

 

Corona habe sie jetzt natürlich ein wenig ausgebremst, bedauern beide. Umso motivierender sei es, dass sich schon die ersten Paten für die Tiere gefunden haben. „Es ist unser Traum, dass der Hof sich irgendwann komplett über Patenschaften und Spenden finanzieren lässt“, sagt Matthias Krämer. Hierzu haben sich die beiden auch als gemeinnützigen Verein eintragen lassen. „Wir planen aber dennoch so, dass wir alles auch alleine bewerkstelligen können“, fügt seine Frau hinzu. Sie verdient ihr Geld in einem Sanitätshaus in Hemmoor, er ist freiberuflicher Dozent in der Erwachsenenbildung.

 Matthias und Isabelle Krämer mit ihren Hunden Nala, Buddy und Jolly. Im Hintergrund ist das Haus zu sehen, das das Paar gepachtet hat - ein ehemaliges Försterei-Gebäude. Foto: van Veenendaal
Matthias und Isabelle Krämer mit ihren Hunden Nala, Buddy und Jolly. Im Hintergrund ist das Haus zu sehen, das das Paar gepachtet hat - eine ehemalige Försterei. Foto: van Veenendaal

Nächstes Projekt: Hühnerstall

 

Schritt für Schritt soll es nun weitergehen: Als nächstes Projekt  ist ein Hühnerstall geplant. Den beiden schwebt ein Gartenhaus auf Platten plus großes Außengehege vor. „Zwar fließen unsere ganzen Mittel in den Lebenshof, im Moment fehlt uns dafür aber noch das Kapital“, räumt Matthias Krämer ein. 

 

Dass der Lebenshof überhaupt schon so weit vorangeschritten ist, ist ziemlich erstaunlich. Schließlich hat das Paar vor Oktober 2019 – also vor rund zehn Monaten - noch gar nicht gewusst, dass es diesen Weg beschreiten wird. „Wir haben gar nicht nach einem Haus gesucht“, erzählen beide. Über ihre Tante, die in Lamstedt wohnt, sei der Kontakt zum Besitzer der alten Försterei zustande gekommen. 

 

Früher Fleischesser, jetzt Veganer

 

Hätte jemand den beiden vor Jahren erzählt, wo es sie einmal hin verschlägt, hätten sie vermutlich ungläubig mit dem Kopf geschüttelt. Denn mit Tierrechten hatten beide zunächst nichts am Hut. „Mir war das alles egal“, berichtet Isabelle Krämer. „Ich habe jeden Tag Fleisch gegessen, meist nur das billigste.“ Die Verknüpfung von Fleisch und Tier habe in ihrem Kopf gar nicht existiert. „In meinen Gedanken war gar kein Platz für solche Fragestellungen“, erinnert sie sich. Sie habe früh Karriere in der Logistikbranche gemacht, sei viel auf Geschäftsreisen gewesen. „Ohne Schminke oder hohe Schuhe wäre ich nie aus dem Haus gegangen. Ich hatte sogar eine Sonnenbank im Keller“, berichtet sie schmunzelnd.

 

Über ihre Schwester sei sie dann mit dem Thema in Berührung gekommen. 2013 wurde sie zur Vegetarierin, 2014 zur Veganerin. Den letzten  Ausschlag habe das Buch „Vegan“ von Marc Pierschel gegeben.  Zwei Jahre später lernte sie ihren jetzigen Mann besser kennen. Er war zu dem Zeitpunkt auch gerade dabei, sich von tierischen Produkten zu verabschieden. „Mein Schlüsselmoment war, als ich im Fernsehen einen Bericht über die Praktik des Kükenschredderns in der Eierindustrie gesehen habe“, erzählt er. Einen Tag später habe er im Supermarkt vor einem Kühlregal gestanden und ein beklemmendes Gefühl bekommen. „Von da an wusste ich: Hier stimmt etwas nicht.“ Zunächst habe er beschlossen, sich vier Wochen lang vegetarisch zu ernähren. Über seine künftige Frau habe er kurze Zeit später die vegane Lebensweise kennengelernt. 

 

 

Impressionen vom Lebenshof Nordlichter. Das Video stammt von Isabelle und Matthias Krämer selbst.

Aktiv für Tierrechte

 

Beide beschlossen, es nicht nur bei der Ernährungsumstellung zu belassen. „Wir wollten uns engagieren und im Aktivismus etwas machen“, berichten beide. In Bonn sei das kein Problem gewesen, da dort zahlreiche Gruppierungen vertreten seien. Seither ist das Paar vor allem mit der „Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt“  verbunden. Zudem habe es Kontakt zu der Peta-Jugendgruppe Peta 2, zum Deutschen Tierschutzbüro und zu der Bewegung Earthlings Experience gegeben.

 

Ungefähr ein Jahr hätten sie fast an jedem Wochenende an Aktionen teilgenommen, blicken beide zurück. „Das war zwar kräftezehrend, aber am Ende des Tages hat es sich immer gelohnt“, meint Isabelle Krämer. Abgeschworen haben die beiden dem Straßenaktivismuss auch heute nicht: Wie schon in Bonn ist das Paar für die Albert Schweitzer Stiftung im Einsatz. Isabelle Krämer leitet in Bremerhaven darüber hinaus die örtliche Gruppe der Stiftung. 

 

"Der Begriff Nutztier spricht den Tieren im Vorfeld ihre Lebensberechtigung ab.“

Matthias Krämer

 

"Es geht uns auch darum, die Tiere in den Fokus zu stellen und sie als Lebewesen zurück ins Bewusstsein zu rufen.“

Isabelle Krämer

 

Kontakt:

 

Isabelle & Matthias Krämer

Lebenshof Nordlichter

Ellerbruch 19

21789 Wingst

E-Mail: kontakt@lebenshof-nordlichter.de

 

 

http://lebenshof-nordlichter.de/