Stopp! – Wie man seine eigene Grenze schützt, das möchten Reit- und Ergotherapeutin Anette Marreck (links) und Sozialpädagogin Annette Rümelin bei dem Kursus „Kinder stark machen“ zeigen.
Reit- und Ergotherapeutin Anette Marreck (links), Sozialpädagogin Annette Rümelin, Marrecks Sohn Jannes und Ponystute Indy.

Stopp! – Wie man seine eigene Grenze schützt, das möchten Reit- und Ergotherapeutin Anette Marreck (links) und Sozialpädagogin Annette Rümelin bei dem Kursus „Kinder stark machen“ zeigen. Unterstützung bekommen sie dabei von Ponystute Indy. Fürs Foto zeigen Rümelin und Marrecks Sohn Jannes, wie man jemanden – und so es zunächst auch nur ein Pferd – auf Abstand halten kann. Foto: van veenendaal

Mit Ponys die eigene Stärke entdecken

Tierische Therapeuten auf Hof Isegrim: Wie Pferde Kindern dabei helfen, eigene Grenzen zu schützen und Gefühle zuzulassen

Erschienen am 17.07.2016 im Sonntagsjournal der Nordsee-Zeitung

Von Susanne van Veenendaal

Beverstedt-Hollen. Jannes steht aufrecht, seine Arme sind ausgestreckt. Die Hände des Sechsjährigen signalisieren „Stopp!“. Die Übung ist erfolgreich: Ponystute Indy schaut zwar interessiert, kommt aber nicht näher. Jannes macht hierdurch eine gute Erfahrung: Er darf „nein“ sagen und kann auf seine Gefühle hören. Es zählt, wenn er etwas nicht will. Genau dies ist das Ziel des Kurses „Kinder stark machen“, der gerade auf dem Hof Isegrim angeboten wird.

 

Kinder lernen, auf eigene Bedürfnisse zu vertrauen

 

Egal, ob es um Mobbing in der Schule, um Gewalt oder sexuelle Übergriffe geht – damit Kinder sich wehren können, müssen sie zuerst auf sich selbst und ihre Bedürfnisse vertrauen können, erklärt Annette Rümelin. Am Freitag hat die Sozialpädagogin zum ersten Mal ihren Kursus „Kinder stark machen“ auf dem Pferdehof in Hollen-Heise angeboten. Am Donnerstag und Freitag wird das Angebot fortgesetzt. Für interessierte Kinder im Grundschulalter gibt es noch wenige Restplätze.

 

Wenn die Oma einen Gute-Nacht-Kuss möchte

 

Die Fähigkeit, sich abzugrenzen, beginne schon im Kleinen, erläutert Rümelin. „Wenn die Oma mir als Kind immer einen Gute-Nacht-Kuss geben will, ich mein Unbehagen aber nicht äußern darf, dann wird schon eine Grenze überschritten“, sagt sie. Wenn bei solch alltäglichen Dingen keine Distanzierung erlaubt ist, wie solle der Junge oder das Mädchen dann lernen, sich in anderen Situationen zu behaupten, fragt die 53-Jährige.

 

Pferde sind beste Lehrmeister in puncto Respekt 

 

Schon in Mainz, wo sie bis vor sechs Jahren noch gelebt hat, hat sie das Projekt „Kinder stark machen“ angeboten. Neu ist jetzt die Arbeit mit den Pferden, die eine Kooperation mit Reit- und Ergotherapeutin Anette Marreck darstellt. Beide Frauen haben schnell gemerkt, dass es bei ihren Tätigkeiten viele Überschneidungen gibt. Und beide wissen, dass Pferde oft die besten Lehrmeister in puncto Respekt sind. „Wenn Kinder ein Pferd ärgern, dann macht das Tier nicht mehr mit. Es kommt nichts mehr zurück, und das finden die Kinder natürlich doof“, verdeutlicht Anette Marreck.

 

Pony legt Wert auf Höflichkeit

 

Ein Paradebeispiel für dieses Verhalten sei das Mini-Appaloosa-Pony Indy. „Sie ist einzigartig und mein bestes Arbeitspferd“, schwärmt die 48-Jährige. „Sie ist die Schnellste im Denken und legt viel Wert auf Höflichkeit.“ Dadurch erziehe das achtjährige Tier automatisch auch die Schüler. Außer Indy ist zudem die 24-jährige Stute Björk bei dem Kursus im Einsatz. „Auch sie ist ein klasse Pferd und hat viel Therapieerfahrung“, meint Marreck.

 

Was ist Stärke?

 

Was genau passiert bei dem Projekt? Nachdem die jungen Teilnehmer sich kennengelernt haben, nähert sich Sozialpädagogin Rümelin spielerisch dem Thema Stärke. Es soll gezeigt werden, dass es nicht um „Muckis“ geht, sondern um Eigenschaften wie Hilfsbereitschaft und Fähigkeiten wie das Zuhören-können. „Man ist stark, wenn man Gefühle zeigt und auch einmal weinen kann“, beschreibt sie den Tenor des Kurses.

 

Danach kommen die Pferde dazu. Mithilfe der Tiere soll die eigene Gefühlswelt erforscht und benannt werden. „Was empfinde ich, wenn das Pferd auf mich zukommt: Freude, Angst oder Mut?“, beschreibt Rümelin die Fragen, die die Teilnehmer beispielsweise beantworten sollen.

 

Zwischen Distanz und Nähe

 

Wer das Pferd lieber auf Distanz halten möchte, könne üben, mit aufrechter Körperhaltung, Stopp-Geste und Stimme genau dies auch zum Ausdruck zu bringen. Das Angebot beinhaltet zwar keinen Reitunterricht – am Ende könnten die Kinder sich dennoch aufs Pferd legen und die Nähe genießen.

 

»Man ist stark, wenn man Gefühle zeigt und auch einmal weinen kann.«

Annette Rümelin, Sozialpädagogin